Du bist ein Elternteil oder eine Lehrkraft und fragst dich, wie es Schüler:innen mit ADHS in der Schule geht und wie man sie gut begleiten kann? Vielleicht stellst du dir auch die Frage, wie viel du selbst beeinflussen kannst, selbst wenn die Rahmenbedingungen im System Schule sehr starr und unpassend sind?
Um gute Bedingungen für Kinder mit ADHS in der Schule zu schaffen, braucht es gar nicht so viel. Viel entscheidender als die Rahmenbedingungen sind die menschliche Komponente und eine tragfähige Beziehung. Und das Beste daran: Davon profitieren am Ende alle!
In diesem Artikel werde ich dir 4 konkrete Stellschrauben für deine Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen mit ADHS im Unterricht aufzeigen, die nicht nur dir und all deinen Schüler:innen, sondern auch den Eltern nachhaltig helfen. Auch wenn ich Vieles hier aus der Perspektive der Lehrkräfte formuliere, sind die Inhalte ebenso auf das zu Hause und den Umgang mit schulischen Themen zu Hause übertragbar!
In dieser Podcastfolge spreche ich über ADHS in der Schule – abonniere den Podcast, wenn du regelmäßig von Menschen mit ADHS und Autismus über Schule hören möchtest.
4 Stellschrauben zum Umgang mit ADHS in der Schule
Stellschraube Nr. 1: Struktur
Halt, bleib da…
Ich weiß, dass das fast der schwerste Punkt ist – und genau hier muss ich erklären, was damit wirklich gemeint ist. Denn Struktur gibt Sicherheit!
Es geht dabei nicht darum, alles bis ins kleinste Detail vorzubereiten oder Unterricht streng nach Schema F zu führen. Je starrer eine Struktur ist, desto weniger ist sie für ADHS- neurodivergente Gehirne geeignet.
Wichtiger ist, transparent und konsequent zu kommunizieren: Welche Erwartungen hast du an deine Schüler:innen? Wie laufen bestimmte Unterrichtsphasen ab? Welche Form gibst du vor? Ein ADHS- Gehirn neigt von Natur aus eher zu Chaos und Spontaneität – und leidet gleichzeitig in der Schule (und im Alltag) besonders, wenn es dabei keine klare, strukturierte Unterstützung erhält.
Für den Unterricht bedeutet das konkret:
- Materialien klar benennen und unterstützen: Sag deutlich, welches Heft, welche Mappe oder welcher Stift gerade gebraucht wird – und hilf bei Bedarf, die Materialien bereitzulegen. Das gilt auch in der Oberstufe, wenn du merkst, dass Schüler:innen damit Schwierigkeiten haben.
- Arbeitsaufträge doppelt sichern: Formuliere deine Aufgaben sowohl mündlich als auch schriftlich, und halte sie sichtbar fest (z. B. an der Tafel oder digital). Wiederhole wichtige Punkte notfalls noch einmal individuell.
- Rhythmus und Abwechslung kombinieren: Ein klarer Unterrichtsablauf gibt Sicherheit, kurze Arbeitsphasen mit Pausen sorgen für Struktur. Achte aber gleichzeitig auf genügend Abwechslung, damit Motivation und Aufmerksamkeit nicht verloren gehen.
- Mit Werten statt starren Regeln arbeiten: Werte geben Orientierung, ohne zusätzlichen Druck zu erzeugen. Ein Beispiel: Statt der Regel: „Wir sind alle still und hören einander zu.“ können wir einen Wert über ein gemeinsames Ziel vermitteln: „Wir achten darauf, dass Lernen für alle möglich bleibt.“ Das verändert die Haltung – von Kontrolle hin zu Zusammenarbeit.
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Stellschraube Nr. 2: Flexibilität
Auch wenn ich eben von Struktur gesprochen habe – nichts ist für ein ADHS-neurodivergentes Gehirn so belastend wie zu starre Strukturen. Flexibilität schafft Luft zum Atmen!
Gerade wenn Schüler:innen auffallen – weil sie laut, unkonzentriert, unstrukturiert oder vergesslich sind – neigen wir dazu, sie noch enger zu kontrollieren und ihren Freiraum weiter einzuschränken. Doch genau das kann die Symptome verstärken oder neue Probleme hervorrufen, die vorher gar nicht da waren.
Warum ist das so?
Weil alle Menschen – auch neurodivergente – ein starkes Bedürfnis nach Autonomie haben. Diese entsteht vor allem durch Selbstkontrolle. Wird sie durch Fremdkontrolle beschnitten, reagiert das Gehirn mit Stress. Und im Stresszustand lassen sich die Exekutivfunktionen – also genau die Fähigkeiten, die bei ADHS ohnehin schon herausfordernd sind – noch schlechter steuern.
Für den Unterricht bedeutet das konkret:
- Regeln flexibel handhaben: Auch wenn es klare Vereinbarungen gibt, können ein Konflikt in der Pause oder eine schlechte Nacht die Kooperationsbereitschaft stark einschränken. In solchen Situationen darf ein Abweichen von der Regelung für alle Beteiligten entlastend sein.
- Auf das Energielevel achten: Manche Tage laufen einfach schlechter. Aufgaben, die sonst in 30 Minuten erledigt werden, können dann mehrere Stunden dauern. Verständnisvolle Anpassungen helfen hier mehr als zusätzlicher Druck.
- Mitbestimmung ermöglichen: Gib Schüler:innen Wahlmöglichkeiten – z. B. bei Aufgaben oder in der Sitzordnung. Selbst kleine Entscheidungen können das Gefühl von Autonomie stärken und die Lernbereitschaft deutlich erhöhen.
- Hab keine Angst vor individuellen Lösungen: Jeder profitiert davon, wenn wir Ausnahmen zulassen. Nicht alle können immer gleichermaßen mithalten – und das zu respektieren, schafft eine wirklich inklusive Lernumgebung.
Stellschraube Nr. 3: Verständnis
Du musst nicht alles verstehen, um Verständnis für dein Gegenüber aufzubringen!
Was meine ich damit?
Es ist kaum möglich, sich wirklich in die Lebensrealität eines ADHS- neurodivergenten Kindes hineinzuversetzen – vor allem, wenn man selbst nicht neurodivergent ist. Aber das musst du auch gar nicht.
Wenn du dir immer wieder bewusst machst, dass alle Kinder dazugehören wollen und zeigen möchten, was sie können, verändert sich die Perspektive: Ein Verhalten, das du nicht sofort nachvollziehen kannst, wirkt dann nicht mehr wie „Absicht“, sondern wie ein Signal.
Konkrete Beispiele aus dem Unterricht:
- Jemand steht ständig auf. Vielleicht hilft es, diesem Kind einen klar definierten Bewegungsauftrag zu geben („Hol bitte das Material für deine Gruppe“) oder eine Steh-Arbeitsmöglichkeit einzurichten.
- Jemand unterbricht dich oder andere. Statt es nur als Störung zu sehen, kannst du kurze visuelle oder nonverbale Signale nutzen, um das Kind wieder einzufangen, oder gezielt Gesprächszeiten einplanen, wo diese Impulse Platz haben.
- Jemand wirkt unkonzentriert oder träumt weg. Vielleicht hilft ein klarer Strukturanker wie ein Merkzettel am Tisch, ein gemeinsames Starten, ein Timer oder eine kurze, freundliche Erinnerung – ohne Vorwurf.
Verständnis bedeutet nicht, dass alles „durchgehen“ darf. Es bedeutet, dass du davon ausgehst: Dieses Verhalten hat einen Grund. Wenn du so reagierst, entlastet das nicht nur dich selbst, sondern auch deine Schüler:innen.
Und genau dadurch entsteht Beziehung – die Grundlage für echte Kooperation im Unterricht.
In dieser Podcastfolge spreche ich darüber, wie du in diese verständnisvolle Haltung kommen kannst…
Stellschraube Nr. 4: Beziehung
Am Ende entscheidet Beziehung. Egal, welche Methode du einsetzt: Stelle dir diese drei Fragen, um zu prüfen, ob sie auch für ADHS-neurodivergente Schüler:innen hilfreich ist:
- Stärkt diese Methode die Selbstkontrolle und damit die Autonomie meiner Schüler:innen?
- Vermeidet sie moralische Bewertungen („gut“/„schlecht“), die beschämen statt stärken?
- Trägt sie dazu bei, dass die Beziehung zwischen mir und meinen Schüler:innen stabiler wird?
Wenn du Methoden findest, die diese Fragen mit „Ja“ beantworten, bist du auf einem sehr guten Weg.
Für den Schulalltag bedeutet das konkret:
- Nimm dir bewusst kurze (!) Momente für positives Feedback – auch für kleine Fortschritte.
- Zeige echtes Interesse: Frag ab und zu nach Hobbys, Lieblingsspielen oder Interessen.
- Nutze Humor, wo es passt – er verbindet und entschärft Spannungen.
- Bleib verlässlich in deinen Reaktionen: Berechenbarkeit schafft Sicherheit.
Ein sicherer Rahmen, Flexibilität, Verständnis und Wertschätzung sind die Basis. Wenn du sie respektierst und vorlebst, hast du schon sehr viel für eine tragfähige Beziehung zu deinen ADHS- neurodivergenten Schüler:innen getan – und davon profitieren letztlich alle.
Ich komme auch an deine Schule!
Falls du oder deine Schule ein Interesse an Fortbildungen online oder vor Ort zum Thema ADHS haben, dann kontaktiere mich. Wir finden eine passende Möglichkeit, die zu euch passt.
Und wenn du mehr über mich erfahren möchtest, dann folge diesem Link…
Als spätdiagnostizierte ADHSlerin, Mutter zweier ADHS- neurodivergenter Schulkinder, Dozentin und ehemalige Lehrerin mit 17 Jahren Berufserfahrung ist es für mich ein großes Anliegen, die Beziehung zwischen Lehrkräften und neurodivergenten Schulkindern zu stärken – um wirklich etwas zu bewirken!






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